LESEPROBE DES ARTIKELS:
Die Werkzeugkiste der Zeitungsmacher
Journalistische Darstellungsformen unter der Lupe
Am Anfang die gute Nachricht: Journalistisch zu schreiben ist nicht schwer, denn es gibt klare Regeln für die verschiedenen Darstellungsformen. Natürlich machen sogenannte goldene Federn – Journalisten, die ihren ganz eigenen Stil haben - alles auch mal anders. Trotzdem sage ich: Vertrauen Sie auf die Regeln und üben Sie ihren Gebrauch. Sobald Sie sie beherrschen, werden diese Regeln Sie sicher durch den Journalismus geleiten. Ob später wirkliche Kunstfertigkeit in Ihre Texte einzieht, sollte Sie jetzt noch nicht beschäftigen. Schließlich kommt es beim Journalismus darauf an, Informationen an einen Leser zu vermitteln – und nicht, diese so komplex, so poetisch oder so dramatisch zu verpacken, dass niemand mehr versteht, worum es eigentlich geht.
Journalismus ist in erster Linie Informationsvermittlung. Aber nicht jede Information ist einen Artikel wert. Sie muss das besitzen, was sich Nachrichtenwert nennt. Erst durch den Wert wird eine Information zur journalistischen Nachricht. Was bedeutet das?
Wenn sich das, was heute geschieht, vom dem, was gestern geschah, unterscheidet - wenn heute etwas Neues, vielleicht sogar etwas Ungewöhnliches geschieht, entsteht Nachrichtenwert.
„Auch heute hatte wieder das Café auf dem Marktplatz in D-Dorf geöffnet.“
Das ist keine Nachricht. Versuchen wir es noch einmal:
„In dem Café auf dem Marktplatz in D-Dorf findet heute eine Ausstellung statt.“
Hier unterscheidet sich das Heute vom Gestern - damit haben wir es mit einer Nachricht zu tun. Nur scheint ihr Wert nicht besonders hoch zu sein. Wer interessiert sich schon für eine beliebige Ausstellung in einem Café in D-Dorf? Auch wenn im Dorf ein Landschaftsmaler wohnt und genau der im Café ausstellt. Diese Nachricht über eine lokale Größe fände vielleicht ihren Platz im Lokalteil einer regionalen Tageszeitung. Mehr ist sie aber nicht wert.
Jetzt stellen Sie sich mal vor, nicht unser Landschaftsmaler würde ausstellen, sondern Dieter Bohlen. Er hätte neben seiner Leidenschaft für Musik und Casting-Shows die Malerei entdeckt. Und schwupps: Unsere Ausstellung schafft es ins Boulevardmagazin auf RTL.
Ein drittes Beispiel:
„In D-Dorf wurde im Café am Marktplatz wird ein vermeintlicher islamischer Terrorist verhaftet, der an den Bombenanschlägen in Madrid beteiligt gewesen sein soll.“
Dass dieses Ereignis eine Nachricht ist, sehen wir sofort.
Aber wovon hängt ihr Wert ab? Wir müssen uns fragen: Wie lief die Verhaftung ab? Wie verhielt sich der Bundesgrenzschutz oder die Polizei - je nachdem, wer die Verhaftung durchgeführt hat? Gab es Verletzte, gab es Tote? Wie wichtig ist der Festgenomme wirklich? Ist er tatsächlich ein Terrorist?
Wenn außerdem durch die Verhaftung ein konspirativer Treffpunkt von Terroristen in Deutschland bekannt wird, wenn in diesem Cafe Pläne für noch mehr Attentate, und sich vielleicht in der Wohnung darüber der dazugehörige Laptop mit den nötigen Beweisen anfindet, dann wird unsere Nachricht immer größere Kreise ziehen - news in the making nennt man das – und ihr Wert steigt und steigt und steigt.
Wie hoch der Wert einer Nachricht ist, liegt einerseits am Ausmaß des Ereignisses und dann an den Konsequenzen. Außerdem steigt der Wert mit dem Publikumsinteresse – denken Sie an Dieter Bohlen. Das Interesse des Publikums wiederum richtet sich nach dem Ort des Ereignisses und seiner Nähe (uns interessieren Geschichten aus Deutschland nämlich mehr als welche aus China) und nach dem Bekanntheitsgrad der beteiligten Personen.
Unser Interesse steigt auch, wenn unsere Emotionalität besonders stark angesprochen wird. So wird z.B. jedes Jahr zu Weihnachten über hungernde oder obdachlose Menschen berichtet, mit den großen Ferien kommen die Geschichten über ausgesetzte Haustiere, und der erste Schnee am Brandenburger Tor schafft es meist auch auf die Titelseiten der Berliner Boulevardzeitungen. Das sind sogenannte menschliche und emotionale Aspekte, die ebenfalls Nachrichtenwert erschaffen.
Solche Ereignisse, bei denen das Publikumsinteresse in Vordergrund steht, werden weiche, und solche, bei denen vorrangig das Ereignis interessiert, harte Nachrichten genannt.
Jedes journalistische Thema muss Nachrichtenwert haben. Für den Artikel, der dann aus dem Thema entsteht, orientiert sich der Journalist an den verschiedenen Darstellungsformen. Grundsätzlich gibt es informierende und meinungsäußernde, und jeder Journalist sollte in der Lage sein, in jeder geforderten Form zu schreiben.
Beginnen wir mit der Nachricht, die im Hörfunk und Fernsehen auch Meldung heißt. Nachrichten sollen ihre Informationen in möglichst knapper, unparteilicher Weise vermitteln. In der Zeitung ist eine Nachricht vielleicht zehn Zeilen lang, beim Hörfunk und Fernsehen bleibt sie unter einer Minute. Das Wichtigste, der Informationskern, gehört an den Anfang.
Auch beim Bericht gehört das Wichtigste nach vorne. Beide Darstellungsformen, Nachricht und Bericht, sind wie eine Pyramide aufgebaut. Sie gliedern sich nach dem Prinzip der abnehmenden Wichtigkeit.
Dazu eine Nachricht aus dem Tagesspiegel:
„Rumsfeld: Militäreinsatz im Irak wird lange dauern
Washington. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat gestern in einem internen Schriftstück eingeräumt, dass sich die Stabilisierung der Lage im Irak als sehr schwierig erweise. Es werde eine „lange, harte Schinderei“ werden, die Situation im Irak wie auch in Afghanistan in den Griff zu bekommen, betonte Rumsfeld. Er gehe davon aus, dass ein langfristiger Einsatz in beiden Ländern nötig sein werde.“
Bereits mit der Überschrift ist geklärt, worum es hier geht. Rumsfeld hat sich über den Militäreinsatz geäußert: Er wird lange dauern. Das ist die Spitze unserer Pyramide, und damit der Informationskern. Hier steht das Interessanteste, das Wichtigste. Das, was neu, empörend oder skandalös ist.
Der vollständige Artikel ist in der TextArt 2/2008 erschienen.
www.textartmagazin.de
Literaturempfehlung:
Walther von La Roche
Einführung in den praktischen Journalismus
List / Journalistische Reihe
Die Werkzeugkiste der Zeitungsmacher
Journalistische Darstellungsformen unter der Lupe
Am Anfang die gute Nachricht: Journalistisch zu schreiben ist nicht schwer, denn es gibt klare Regeln für die verschiedenen Darstellungsformen. Natürlich machen sogenannte goldene Federn – Journalisten, die ihren ganz eigenen Stil haben - alles auch mal anders. Trotzdem sage ich: Vertrauen Sie auf die Regeln und üben Sie ihren Gebrauch. Sobald Sie sie beherrschen, werden diese Regeln Sie sicher durch den Journalismus geleiten. Ob später wirkliche Kunstfertigkeit in Ihre Texte einzieht, sollte Sie jetzt noch nicht beschäftigen. Schließlich kommt es beim Journalismus darauf an, Informationen an einen Leser zu vermitteln – und nicht, diese so komplex, so poetisch oder so dramatisch zu verpacken, dass niemand mehr versteht, worum es eigentlich geht.
Journalismus ist in erster Linie Informationsvermittlung. Aber nicht jede Information ist einen Artikel wert. Sie muss das besitzen, was sich Nachrichtenwert nennt. Erst durch den Wert wird eine Information zur journalistischen Nachricht. Was bedeutet das?
Wenn sich das, was heute geschieht, vom dem, was gestern geschah, unterscheidet - wenn heute etwas Neues, vielleicht sogar etwas Ungewöhnliches geschieht, entsteht Nachrichtenwert.
„Auch heute hatte wieder das Café auf dem Marktplatz in D-Dorf geöffnet.“
Das ist keine Nachricht. Versuchen wir es noch einmal:
„In dem Café auf dem Marktplatz in D-Dorf findet heute eine Ausstellung statt.“
Hier unterscheidet sich das Heute vom Gestern - damit haben wir es mit einer Nachricht zu tun. Nur scheint ihr Wert nicht besonders hoch zu sein. Wer interessiert sich schon für eine beliebige Ausstellung in einem Café in D-Dorf? Auch wenn im Dorf ein Landschaftsmaler wohnt und genau der im Café ausstellt. Diese Nachricht über eine lokale Größe fände vielleicht ihren Platz im Lokalteil einer regionalen Tageszeitung. Mehr ist sie aber nicht wert.
Jetzt stellen Sie sich mal vor, nicht unser Landschaftsmaler würde ausstellen, sondern Dieter Bohlen. Er hätte neben seiner Leidenschaft für Musik und Casting-Shows die Malerei entdeckt. Und schwupps: Unsere Ausstellung schafft es ins Boulevardmagazin auf RTL.
Ein drittes Beispiel:
„In D-Dorf wurde im Café am Marktplatz wird ein vermeintlicher islamischer Terrorist verhaftet, der an den Bombenanschlägen in Madrid beteiligt gewesen sein soll.“
Dass dieses Ereignis eine Nachricht ist, sehen wir sofort.
Aber wovon hängt ihr Wert ab? Wir müssen uns fragen: Wie lief die Verhaftung ab? Wie verhielt sich der Bundesgrenzschutz oder die Polizei - je nachdem, wer die Verhaftung durchgeführt hat? Gab es Verletzte, gab es Tote? Wie wichtig ist der Festgenomme wirklich? Ist er tatsächlich ein Terrorist?
Wenn außerdem durch die Verhaftung ein konspirativer Treffpunkt von Terroristen in Deutschland bekannt wird, wenn in diesem Cafe Pläne für noch mehr Attentate, und sich vielleicht in der Wohnung darüber der dazugehörige Laptop mit den nötigen Beweisen anfindet, dann wird unsere Nachricht immer größere Kreise ziehen - news in the making nennt man das – und ihr Wert steigt und steigt und steigt.
Wie hoch der Wert einer Nachricht ist, liegt einerseits am Ausmaß des Ereignisses und dann an den Konsequenzen. Außerdem steigt der Wert mit dem Publikumsinteresse – denken Sie an Dieter Bohlen. Das Interesse des Publikums wiederum richtet sich nach dem Ort des Ereignisses und seiner Nähe (uns interessieren Geschichten aus Deutschland nämlich mehr als welche aus China) und nach dem Bekanntheitsgrad der beteiligten Personen.
Unser Interesse steigt auch, wenn unsere Emotionalität besonders stark angesprochen wird. So wird z.B. jedes Jahr zu Weihnachten über hungernde oder obdachlose Menschen berichtet, mit den großen Ferien kommen die Geschichten über ausgesetzte Haustiere, und der erste Schnee am Brandenburger Tor schafft es meist auch auf die Titelseiten der Berliner Boulevardzeitungen. Das sind sogenannte menschliche und emotionale Aspekte, die ebenfalls Nachrichtenwert erschaffen.
Solche Ereignisse, bei denen das Publikumsinteresse in Vordergrund steht, werden weiche, und solche, bei denen vorrangig das Ereignis interessiert, harte Nachrichten genannt.
Jedes journalistische Thema muss Nachrichtenwert haben. Für den Artikel, der dann aus dem Thema entsteht, orientiert sich der Journalist an den verschiedenen Darstellungsformen. Grundsätzlich gibt es informierende und meinungsäußernde, und jeder Journalist sollte in der Lage sein, in jeder geforderten Form zu schreiben.
Beginnen wir mit der Nachricht, die im Hörfunk und Fernsehen auch Meldung heißt. Nachrichten sollen ihre Informationen in möglichst knapper, unparteilicher Weise vermitteln. In der Zeitung ist eine Nachricht vielleicht zehn Zeilen lang, beim Hörfunk und Fernsehen bleibt sie unter einer Minute. Das Wichtigste, der Informationskern, gehört an den Anfang.
Auch beim Bericht gehört das Wichtigste nach vorne. Beide Darstellungsformen, Nachricht und Bericht, sind wie eine Pyramide aufgebaut. Sie gliedern sich nach dem Prinzip der abnehmenden Wichtigkeit.
Dazu eine Nachricht aus dem Tagesspiegel:
„Rumsfeld: Militäreinsatz im Irak wird lange dauern
Washington. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat gestern in einem internen Schriftstück eingeräumt, dass sich die Stabilisierung der Lage im Irak als sehr schwierig erweise. Es werde eine „lange, harte Schinderei“ werden, die Situation im Irak wie auch in Afghanistan in den Griff zu bekommen, betonte Rumsfeld. Er gehe davon aus, dass ein langfristiger Einsatz in beiden Ländern nötig sein werde.“
Bereits mit der Überschrift ist geklärt, worum es hier geht. Rumsfeld hat sich über den Militäreinsatz geäußert: Er wird lange dauern. Das ist die Spitze unserer Pyramide, und damit der Informationskern. Hier steht das Interessanteste, das Wichtigste. Das, was neu, empörend oder skandalös ist.
Der vollständige Artikel ist in der TextArt 2/2008 erschienen.
www.textartmagazin.de
Literaturempfehlung:
Walther von La Roche
Einführung in den praktischen Journalismus
List / Journalistische Reihe