Die Tankstelle
An einer Schnellstraße hielt der Liebe Gott seinen Daumen in den Regen.
„Hier oben leben nur Idioten“, fluchte der Teufel, der neben Gott am Straßenrand stand und entsetzlich fror. Und er maulte weiter: „Ich würde auch nicht halten, wenn mir so ein klitschnasser, alter Mann zuwinkt. Und guck dir mal deine Schirmmütze an. Musst du eigentlich alles tragen, was man dir schenkt?“
Geduldig hörte Gott dem Teufel zu. Erst als dieser von ineinander rutschenden Autos, Toten und Verletzten zu schwärmen begann, sagte er: „Es reicht“ und stapfte davon.
„Wo willst du bei diesem Sauwetter denn noch hin?“, brüllte ihm der Teufel nach. Aber Gott gab keine Antwort mehr, sondern schritt fleißig aus. Der Teufel musste sich beeilen, um Gott im Regengrau nicht zu verlieren.
Lange liefen die beiden nicht, da tauchte eine Tankstelle auf. Bereits von weitem strahlte ein fröhliches, sauber blitzendes Auto vom Dach einer Waschanlage herunter. Auf dem Parkplatz standen noch viel mehr Autos, die von ihren Besitzern trotz des Regens geputzt und gesäubert wurden. Schnell waren sich Gott und Teufel einig. Sie brauchten eine Pause, und die Tankstelle war überdacht.
„Hier nimmt uns bestimmt jemand mit“, sagte Gott hoffnungsvoll.
Der Teufel schwieg. Seine weite Stoffhose, die er für Pferdefuß und Schwanz brauchte, war klitschnass. Sein bunt kariertes Holzfällerhemd konnte man auswringen. Der Bauarbeiterhelm hatte nicht viel abgehalten. Nur seine Hörner waren trocken geblieben.
Er starrte zu Tankstellenshop. Dort war es sicher wärmer als hier draußen. Die Menschen, die sich vor dem Verkaufscounter drängten, hatten ihre Mäntel und Jacken geöffnet. Die Scheiben waren beschlagen. Aber am meisten zog den Teufel das Programm eines kleinen Fernsehers an, der über der Kühltruhe hing. Coyboys saßen um ein großes Feuer und rauchten genüsslich. Was stand da jetzt? Rauchen gefährdet die Gesundheit. Seine nicht, darauf würde er wetten. Die ruinierte eher die Kälte.
„Geh rein“, sagte der Liebe Gott.
„Aber denk daran, was du versprochen hast“, rief er ihm nach, als der Teufel die Tür zum Shop öffnete. Musik drang aus dem kleinen Fernseher über der Kühltruhe. Die Coyboys und das Lagerfeuer waren verschwunden, dafür hüpfte ein fröhlicher Mann mit einem Benzinkanister eine Straße entlang. Der Teufel reihte sich in die Menschenschlange ein. Sein Pferdefuß begann, im Takt zu wippen.
Seit vielen Stunden stand Kevin hinter der Kasse. Er hatte jedes Verständnis für die Schlange vor seinem Verkaufscounter verloren. Wenn er anfangs noch mit seinen Kundinnen geflirtet und das ein oder andere Stück auch mal umsonst herausgegeben hatte, wollte er jetzt nur noch nach Hause. Als Philosophiestudent im dritten Semester sollte er nicht gezwungen sein zu arbeiten. Aber seine Eltern wollten die Reise nach Tibet einfach nicht bezahlen. Er hatte ihnen erklärt, wie wichtig sie für sein geistiges Fortkommen sei. Dass seine Erleuchtung auf den schneebedeckten Gipfeln des Tibetanischen Hochgebirges nicht ausbleiben würde – und wie essentiell die war für seine weitere Entwicklung. Aber sie waren stur geblieben. Durch einen ihrer Bekannten hatte er diesen Job bekommen. Sechs Euros die Stunde plus Nacht- und Feiertagszuschlag. Bis jetzt weigerte er sich nachts zu arbeiten. Dieses Wochenende reichte wahrlich.
Zu allem Ärger hatte er vor einer Woche das Rauchen aufgegeben. Es war eine blöde Wette gewesen mit einem Freund, der wie er studierte und viel Zeit hatte zu unangemeldeten Kontrollgängen. Es ging um 100 Euro, die Kevin für Tibet gut gebrauchen konnte.
Jeder zweite aus der Menschenschlange vor ihm wollte gewiss wieder Zigaretten haben. Von ihm, Kevin, dem Nichtraucher. Der auf seine Gesundheit achtete. Auf die spirituelle und auf die körperliche. Überhaupt, mit Tankstellen und Autos war es auch so eine Sache. Fahrradfahren, das war gesund, wer Fahrrad fuhr, der rauchte nicht. Vor seinem geistigen Auge sah Kevin, wie er auf einem schneebedeckten Gipfel in Tibet meditierte. Neben ihm lehnte ein Mountainbike. Wieder spürte er den heftigen Drang nach einer Zigarette.
Dann stand der Teufel vor dem Verkaufscounter. Holzfällerhemd, Stoffhose, Bauarbeiterhelm. Nass und sehr behaart. Wirklich sehr behaart. Was sich am Wochenende alles heraus traute. Kevin würgte ein unfreundliches „Ja?“ heraus.
„Ich möchte die Zigaretten von dem großen Feuer, das da eben zu sehen war.“ Die Stimme des Teufels war angenehm, und er deutete auf den kleinen Fernseher, in dem schon wieder ein anderer Werbespot lief.
Ich glaubs nicht, dachte Kevin, nur Idioten. „Marlboro?“
Dabei sah er sich im Geist mit einem Gewehr erst auf den Monitor mit seinen Uralt-Werbespots, dann auf den Teufel zielen.
Der Teufel nickte. Er war nicht sicher gewesen, wie der Markennamens korrekt ausgesprochen wurde.
Kevin holte das Zigarettenpäckchen aus dem Regal.
„Fünf Euro“, sagte er.
Teufel, Teufel, so ging das nicht. Er konnte nichts kaufen, der Teufel besaß kein Geld. Stattdessen erfüllte er Wünsche. Das war eine Grundregel im Umgang mit ihm, aber der junge Spund hinter der Kasse hatte ihn nicht erkannt.
„Fünf Euro“, wiederholte Kevin und hielt dem Teufel die geöffnete Hand entgegen.
Es war nur eine Frage der Formulierung. „Ist das dein Wunsch?“
„Nee, das ist der Wunsch der Tankstellen GmbH oder wie die heißen. Kann ich das Geld haben?“
Der Bursche war hartnäckig. „Aber du wünscht es dir doch?“
Kevin starrte den Teufel an. Dann legte er die Zigaretten zur Seite und wandte sich zum nächsten in der Schlange. „Ja?“
Der Teufel gab nicht auf. „Du kannst fünf Euro haben, du musst es dir wünschen.“
Der Mann, dem Kevins Aufforderung gegolten hatte, lachte. „Wünsch dir was ... also, ich hätte gern einen Rolls Royce.“
In den Augen des Teufels begann es zu glimmen. Wie Eierkohlen, die auf geschüttelt wurden. Das war gegen die Abmachung mit Gott. Ja, eindeutig. Wenn er sie für die Zigaretten ein bisschen verbogen hätte, hier würde er sie brechen. Aber wer, wenn nicht er, konnte das tun? „Das kostet deine Seele.“
Der Mann lachte wieder. „Warum nicht ... ich wünsch mir den Rolls Royce.“
So war es richtig mit der Formulierung. Der Teufel nickte zufrieden. Dann verschwand er von der Weltoberfläche, um Sekunden später den Rolls Royce vor dem Shop abzusetzen. Das Auto erzitterte. Der Teufel winkte dem frisch gebackene Besitzer zu. Der stürmte aus dem Laden.
„Wie haben Sie das ...?“ Der Mann sprach nicht zu Ende. Seine Augen hingen gierig an dem teuren Auto, auch wenn er dem Teufel nicht zu nahe kommen wollte.
„Schon gut“, sagte der, „wir sehen uns.“
Und ging in den Tankstellenshop zurück. Hier machten ihn die Leute ehrfürchtig Platz. Aber dann lockte das teure Auto doch die ersten nach draußen. Der Teufel sah mit Genugtuung, wie immer mehr den Rolls Royce umringten und betasteten.
„Da.“ Kevin schob dem Teufel die Schachtel Marlboro hin. „Da haben Sie Ihre Zigaretten.“
Zwar hatte er keine Ahnung, wie der das eben mit dem Rolls Royce gemacht hatte, aber vielleicht sprang auch für ihn etwas dabei heraus, wenn er erstmal investierte. Was war schon eine Schachtel Zigaretten gegen ein solches Auto? Allerdings hatte ihn der Spruch mit der Seele nervös gemacht.
Dem Teufel reichte es jetzt. Niemand hatte das Recht, ihm etwas zu schenken. Selbst Gott hielt sich an diese Regel, und hier ging es nur um die richtige Formulierung, mehr nicht. Er packte Kevin. Dem wurde heiß und kalt zugleich, ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte. Dann kroch Taubheit in seine Glieder. Rasch schlug Kevin mehrere Kruzifixe.
„Ich .. ich bin Buddhist“, keuchte er.
Buddhist? Das hätte sich der Teufel denken können. Die Kruzifixe machten ihm nichts aus. Katholiken mochte er. Die wünschten sich was oder ließen es bleiben. Wenn jemand aber zu blöde war, sich etwas zu wünschen, konnte er nur Buddhist sein. Wozu beschränkten er und der Liebe Gott ihre Kontrollgänge eigentlich auf das Christliche Abendland?
Kevin bemühte sich um innere Ruhe. Sein Blick klebte am Marlboropäckchen. Selbst Buddha hätte ihm jetzt eine Zigarette gewährt. Er schloß die Augen und konzentrierte sich. AUM, AUM, AUM.
„Kann ich mir alles wünschen, was ich will?“
Der Teufel war verwirrt. „Sicher.“
„Ich will auf einen schneebedeckten Gipfel im Tibetanischen Hochgebirge“, sagte Kevin und seine Stimme schwankt nicht.
„Da ist es eiskalt!“ Wenn er den Wunsch erfüllte, musste der Teufel mit. Oder wusste dieser Ungläubige etwa, wie man in Windeseile flog?
Kevin wurde misstrauisch. „Geben Sie es zu. Mit dem Rolls Royce, da haben Sie geblufft“, sagte er.
Der Teufel zog finster seine Brauen zusammen. Dann griff er zur Marlboroschachtel.
„Sprich mir nach“, verlangte er. „Ich wünsche mich auf einen schneebedeckten Gipfel in Tibet.“
Kevins Augen waren dem Weg der Marlboro gefolgt. Rasch steckte er eine Streichholzschachtel ein, dann wiederholte er den Satz des Teufels. Schwupps, waren beide verschwunden.
Vor dem Tankstellenshop regnete es immer noch. Bisher hatte der Liebe Gott kein Glück gehabt. Das Wetter machte selbst die gütigsten Menschen zu mürrischen Egoisten. War doch sein Pech, dass er kein Auto besaß. Dann müsse er eben laufen oder sich eins kaufen. Überhaupt solle er erstmal lernen, sich anständig anzuziehen. Verlegen stopfte der Liebe Gott eins ums andere Mal sein himmlisch weißes Gewand in den Blaumann zurück, aus dem es sofort wieder herauskroch. Solche Gewänder waren dazu gedacht zu wehen und nicht in Hosen gestopft zu werden. Der Liebe Gott rückte seine Schirmmütze zurecht.
Er hatte gerade bei der Waschanlage hinter der Tankstelle eine Mitfahrgelegenheit gesucht, als der Rolls Royce auftauchte. Jetzt sah er nur das teure Auto inmitten von Menschen. Nachdenklich strich er sich über seinen langen, wundersam wallenden Bart. Wenn sie nun der reiche Besitzer dieses Autos mit nähme, dann wäre das wie mit dem Kamel und dem Nadelöhr, und er hätte dem Teufel bewiesen ... ein himmlisches Lächeln stahl sich auf seine Züge.
Er drängte sich zum Auto und fragte nach dem Besitzer. Zuerst gab ihm niemand Auskunft, dann behaupteten mehrere gleichzeitig, ihnen gehöre das Auto. Schließlich kam es zu einer kurzen Prügelei, die Gott aber schlichten konnte. Dann stand er vor dem richtigen Besitzer. Jedenfalls befürchtete der Liebe Gott das, denn dieser Mann hatte sofort aus tiefster Seele abgelehnt, jemals Anhalter mitzunehmen. Upps, aus tiefster Seele?
Gott schaute sich den Mann genauer an. Das war doch ...
„Sind Sie jemandem mit Bauarbeiterhelm begegnet?“
„Das Auto gehört mir.“
Der Liebe Gott legte beschwichtigend die Hand auf seine Schulter. „Besser wärs, Sie gäben es zurück.“
Der Mann hob die Fäuste. „Das Auto gehört mir!“
Da seufzte der Liebe Gott sehr tief, und wer genau hinhörte, konnte die Engel mit ihm zusammen seufzen hören.
„Dann fahren Sie wenigstens vorsichtig.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und schritt zum Shop.
Drinnen schimpften die Menschen laut. Eine hohe Frauenstimme überschlug sich: „Ich wollte mir auch noch was wünschen!“ Ein paar lagen auf dem Boden und sangen: „Hare Krishna, Hare, Hare.“ Ein anderer versuchte die Ladenkasse hinter dem Verkaufscounter aufzubrechen. Im Fernseher über der Kühltruhe fuhren viele Buddhisten in sehr kleinen Autos um einen Hügel. Ein Buddhist sah zu und rauchte.
Der Liebe Gott stand in der geöffneten Tür. Diese gemeinsamen Kontrollgänge machten ihn krank. Kaum gedacht verbot er sich diesen Gedanken wieder, entfernte ein bisschen zu unlieb den Kassendieb vom Counter und brüllte mit seiner alles durchdringenden Stimme: „Wer will was?“
Es dauerte gar nicht lange, da hatte sich wieder eine Schlange vor dem Verkaufscounter gebildet. Die anfangs sehr sonderbar klingenden Wünsche nahmen mit der Zeit ab, und alles war wieder in Ordnung, als der Liebe Gott Stunden später von einem hübschen blonden Mädchen abgelöst wurde.
„Wo ist denn Kevin?“, wollte sie wissen.
„Kevin?“
„Dessen Dienst du gemacht hast.“
Der Liebe Gott seufzte tief.
„Dein erster Tag heute?“ Das Mädchen lächelte verständnisvoll. „Mit der Zeit gewöhnt man sich dran.“
Aber der Liebe Gott wusste, dass er sich nicht daran gewöhnen würde. Er beschloss, dass er für diesen Kontrollgang genug getan hatte und die Menschen ihrem Schicksal überlassen würde. Gut, vielleicht würde er morgen einen Engel aussenden, um nach diesem Kevin zu suchen. Für heute reichte es.
Das Mädchen betrachtete ihn mitleidig. „Nee, nee, tut mir ja Leid, aber erst noch die Abrechnung.“
Da lächelte der Liebe Gott sehr angestrengt, nahm die Ladenkasse und begann zu zählen. Und während er noch zählte, saßen Kevin und der Teufel auf einem Gipfel des Tibetanischen Hochgebirges und rauchten eine nach der anderen. Schließlich lag die Marlboroschachtel leer und rotleuchtend vor ihnen im Schnee. Der Teufel nieste.
veröffentlicht in:
erostepost Nr.24
Literaturzeitschrift
Salzburg, 2001
An einer Schnellstraße hielt der Liebe Gott seinen Daumen in den Regen.
„Hier oben leben nur Idioten“, fluchte der Teufel, der neben Gott am Straßenrand stand und entsetzlich fror. Und er maulte weiter: „Ich würde auch nicht halten, wenn mir so ein klitschnasser, alter Mann zuwinkt. Und guck dir mal deine Schirmmütze an. Musst du eigentlich alles tragen, was man dir schenkt?“
Geduldig hörte Gott dem Teufel zu. Erst als dieser von ineinander rutschenden Autos, Toten und Verletzten zu schwärmen begann, sagte er: „Es reicht“ und stapfte davon.
„Wo willst du bei diesem Sauwetter denn noch hin?“, brüllte ihm der Teufel nach. Aber Gott gab keine Antwort mehr, sondern schritt fleißig aus. Der Teufel musste sich beeilen, um Gott im Regengrau nicht zu verlieren.
Lange liefen die beiden nicht, da tauchte eine Tankstelle auf. Bereits von weitem strahlte ein fröhliches, sauber blitzendes Auto vom Dach einer Waschanlage herunter. Auf dem Parkplatz standen noch viel mehr Autos, die von ihren Besitzern trotz des Regens geputzt und gesäubert wurden. Schnell waren sich Gott und Teufel einig. Sie brauchten eine Pause, und die Tankstelle war überdacht.
„Hier nimmt uns bestimmt jemand mit“, sagte Gott hoffnungsvoll.
Der Teufel schwieg. Seine weite Stoffhose, die er für Pferdefuß und Schwanz brauchte, war klitschnass. Sein bunt kariertes Holzfällerhemd konnte man auswringen. Der Bauarbeiterhelm hatte nicht viel abgehalten. Nur seine Hörner waren trocken geblieben.
Er starrte zu Tankstellenshop. Dort war es sicher wärmer als hier draußen. Die Menschen, die sich vor dem Verkaufscounter drängten, hatten ihre Mäntel und Jacken geöffnet. Die Scheiben waren beschlagen. Aber am meisten zog den Teufel das Programm eines kleinen Fernsehers an, der über der Kühltruhe hing. Coyboys saßen um ein großes Feuer und rauchten genüsslich. Was stand da jetzt? Rauchen gefährdet die Gesundheit. Seine nicht, darauf würde er wetten. Die ruinierte eher die Kälte.
„Geh rein“, sagte der Liebe Gott.
„Aber denk daran, was du versprochen hast“, rief er ihm nach, als der Teufel die Tür zum Shop öffnete. Musik drang aus dem kleinen Fernseher über der Kühltruhe. Die Coyboys und das Lagerfeuer waren verschwunden, dafür hüpfte ein fröhlicher Mann mit einem Benzinkanister eine Straße entlang. Der Teufel reihte sich in die Menschenschlange ein. Sein Pferdefuß begann, im Takt zu wippen.
Seit vielen Stunden stand Kevin hinter der Kasse. Er hatte jedes Verständnis für die Schlange vor seinem Verkaufscounter verloren. Wenn er anfangs noch mit seinen Kundinnen geflirtet und das ein oder andere Stück auch mal umsonst herausgegeben hatte, wollte er jetzt nur noch nach Hause. Als Philosophiestudent im dritten Semester sollte er nicht gezwungen sein zu arbeiten. Aber seine Eltern wollten die Reise nach Tibet einfach nicht bezahlen. Er hatte ihnen erklärt, wie wichtig sie für sein geistiges Fortkommen sei. Dass seine Erleuchtung auf den schneebedeckten Gipfeln des Tibetanischen Hochgebirges nicht ausbleiben würde – und wie essentiell die war für seine weitere Entwicklung. Aber sie waren stur geblieben. Durch einen ihrer Bekannten hatte er diesen Job bekommen. Sechs Euros die Stunde plus Nacht- und Feiertagszuschlag. Bis jetzt weigerte er sich nachts zu arbeiten. Dieses Wochenende reichte wahrlich.
Zu allem Ärger hatte er vor einer Woche das Rauchen aufgegeben. Es war eine blöde Wette gewesen mit einem Freund, der wie er studierte und viel Zeit hatte zu unangemeldeten Kontrollgängen. Es ging um 100 Euro, die Kevin für Tibet gut gebrauchen konnte.
Jeder zweite aus der Menschenschlange vor ihm wollte gewiss wieder Zigaretten haben. Von ihm, Kevin, dem Nichtraucher. Der auf seine Gesundheit achtete. Auf die spirituelle und auf die körperliche. Überhaupt, mit Tankstellen und Autos war es auch so eine Sache. Fahrradfahren, das war gesund, wer Fahrrad fuhr, der rauchte nicht. Vor seinem geistigen Auge sah Kevin, wie er auf einem schneebedeckten Gipfel in Tibet meditierte. Neben ihm lehnte ein Mountainbike. Wieder spürte er den heftigen Drang nach einer Zigarette.
Dann stand der Teufel vor dem Verkaufscounter. Holzfällerhemd, Stoffhose, Bauarbeiterhelm. Nass und sehr behaart. Wirklich sehr behaart. Was sich am Wochenende alles heraus traute. Kevin würgte ein unfreundliches „Ja?“ heraus.
„Ich möchte die Zigaretten von dem großen Feuer, das da eben zu sehen war.“ Die Stimme des Teufels war angenehm, und er deutete auf den kleinen Fernseher, in dem schon wieder ein anderer Werbespot lief.
Ich glaubs nicht, dachte Kevin, nur Idioten. „Marlboro?“
Dabei sah er sich im Geist mit einem Gewehr erst auf den Monitor mit seinen Uralt-Werbespots, dann auf den Teufel zielen.
Der Teufel nickte. Er war nicht sicher gewesen, wie der Markennamens korrekt ausgesprochen wurde.
Kevin holte das Zigarettenpäckchen aus dem Regal.
„Fünf Euro“, sagte er.
Teufel, Teufel, so ging das nicht. Er konnte nichts kaufen, der Teufel besaß kein Geld. Stattdessen erfüllte er Wünsche. Das war eine Grundregel im Umgang mit ihm, aber der junge Spund hinter der Kasse hatte ihn nicht erkannt.
„Fünf Euro“, wiederholte Kevin und hielt dem Teufel die geöffnete Hand entgegen.
Es war nur eine Frage der Formulierung. „Ist das dein Wunsch?“
„Nee, das ist der Wunsch der Tankstellen GmbH oder wie die heißen. Kann ich das Geld haben?“
Der Bursche war hartnäckig. „Aber du wünscht es dir doch?“
Kevin starrte den Teufel an. Dann legte er die Zigaretten zur Seite und wandte sich zum nächsten in der Schlange. „Ja?“
Der Teufel gab nicht auf. „Du kannst fünf Euro haben, du musst es dir wünschen.“
Der Mann, dem Kevins Aufforderung gegolten hatte, lachte. „Wünsch dir was ... also, ich hätte gern einen Rolls Royce.“
In den Augen des Teufels begann es zu glimmen. Wie Eierkohlen, die auf geschüttelt wurden. Das war gegen die Abmachung mit Gott. Ja, eindeutig. Wenn er sie für die Zigaretten ein bisschen verbogen hätte, hier würde er sie brechen. Aber wer, wenn nicht er, konnte das tun? „Das kostet deine Seele.“
Der Mann lachte wieder. „Warum nicht ... ich wünsch mir den Rolls Royce.“
So war es richtig mit der Formulierung. Der Teufel nickte zufrieden. Dann verschwand er von der Weltoberfläche, um Sekunden später den Rolls Royce vor dem Shop abzusetzen. Das Auto erzitterte. Der Teufel winkte dem frisch gebackene Besitzer zu. Der stürmte aus dem Laden.
„Wie haben Sie das ...?“ Der Mann sprach nicht zu Ende. Seine Augen hingen gierig an dem teuren Auto, auch wenn er dem Teufel nicht zu nahe kommen wollte.
„Schon gut“, sagte der, „wir sehen uns.“
Und ging in den Tankstellenshop zurück. Hier machten ihn die Leute ehrfürchtig Platz. Aber dann lockte das teure Auto doch die ersten nach draußen. Der Teufel sah mit Genugtuung, wie immer mehr den Rolls Royce umringten und betasteten.
„Da.“ Kevin schob dem Teufel die Schachtel Marlboro hin. „Da haben Sie Ihre Zigaretten.“
Zwar hatte er keine Ahnung, wie der das eben mit dem Rolls Royce gemacht hatte, aber vielleicht sprang auch für ihn etwas dabei heraus, wenn er erstmal investierte. Was war schon eine Schachtel Zigaretten gegen ein solches Auto? Allerdings hatte ihn der Spruch mit der Seele nervös gemacht.
Dem Teufel reichte es jetzt. Niemand hatte das Recht, ihm etwas zu schenken. Selbst Gott hielt sich an diese Regel, und hier ging es nur um die richtige Formulierung, mehr nicht. Er packte Kevin. Dem wurde heiß und kalt zugleich, ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte. Dann kroch Taubheit in seine Glieder. Rasch schlug Kevin mehrere Kruzifixe.
„Ich .. ich bin Buddhist“, keuchte er.
Buddhist? Das hätte sich der Teufel denken können. Die Kruzifixe machten ihm nichts aus. Katholiken mochte er. Die wünschten sich was oder ließen es bleiben. Wenn jemand aber zu blöde war, sich etwas zu wünschen, konnte er nur Buddhist sein. Wozu beschränkten er und der Liebe Gott ihre Kontrollgänge eigentlich auf das Christliche Abendland?
Kevin bemühte sich um innere Ruhe. Sein Blick klebte am Marlboropäckchen. Selbst Buddha hätte ihm jetzt eine Zigarette gewährt. Er schloß die Augen und konzentrierte sich. AUM, AUM, AUM.
„Kann ich mir alles wünschen, was ich will?“
Der Teufel war verwirrt. „Sicher.“
„Ich will auf einen schneebedeckten Gipfel im Tibetanischen Hochgebirge“, sagte Kevin und seine Stimme schwankt nicht.
„Da ist es eiskalt!“ Wenn er den Wunsch erfüllte, musste der Teufel mit. Oder wusste dieser Ungläubige etwa, wie man in Windeseile flog?
Kevin wurde misstrauisch. „Geben Sie es zu. Mit dem Rolls Royce, da haben Sie geblufft“, sagte er.
Der Teufel zog finster seine Brauen zusammen. Dann griff er zur Marlboroschachtel.
„Sprich mir nach“, verlangte er. „Ich wünsche mich auf einen schneebedeckten Gipfel in Tibet.“
Kevins Augen waren dem Weg der Marlboro gefolgt. Rasch steckte er eine Streichholzschachtel ein, dann wiederholte er den Satz des Teufels. Schwupps, waren beide verschwunden.
Vor dem Tankstellenshop regnete es immer noch. Bisher hatte der Liebe Gott kein Glück gehabt. Das Wetter machte selbst die gütigsten Menschen zu mürrischen Egoisten. War doch sein Pech, dass er kein Auto besaß. Dann müsse er eben laufen oder sich eins kaufen. Überhaupt solle er erstmal lernen, sich anständig anzuziehen. Verlegen stopfte der Liebe Gott eins ums andere Mal sein himmlisch weißes Gewand in den Blaumann zurück, aus dem es sofort wieder herauskroch. Solche Gewänder waren dazu gedacht zu wehen und nicht in Hosen gestopft zu werden. Der Liebe Gott rückte seine Schirmmütze zurecht.
Er hatte gerade bei der Waschanlage hinter der Tankstelle eine Mitfahrgelegenheit gesucht, als der Rolls Royce auftauchte. Jetzt sah er nur das teure Auto inmitten von Menschen. Nachdenklich strich er sich über seinen langen, wundersam wallenden Bart. Wenn sie nun der reiche Besitzer dieses Autos mit nähme, dann wäre das wie mit dem Kamel und dem Nadelöhr, und er hätte dem Teufel bewiesen ... ein himmlisches Lächeln stahl sich auf seine Züge.
Er drängte sich zum Auto und fragte nach dem Besitzer. Zuerst gab ihm niemand Auskunft, dann behaupteten mehrere gleichzeitig, ihnen gehöre das Auto. Schließlich kam es zu einer kurzen Prügelei, die Gott aber schlichten konnte. Dann stand er vor dem richtigen Besitzer. Jedenfalls befürchtete der Liebe Gott das, denn dieser Mann hatte sofort aus tiefster Seele abgelehnt, jemals Anhalter mitzunehmen. Upps, aus tiefster Seele?
Gott schaute sich den Mann genauer an. Das war doch ...
„Sind Sie jemandem mit Bauarbeiterhelm begegnet?“
„Das Auto gehört mir.“
Der Liebe Gott legte beschwichtigend die Hand auf seine Schulter. „Besser wärs, Sie gäben es zurück.“
Der Mann hob die Fäuste. „Das Auto gehört mir!“
Da seufzte der Liebe Gott sehr tief, und wer genau hinhörte, konnte die Engel mit ihm zusammen seufzen hören.
„Dann fahren Sie wenigstens vorsichtig.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und schritt zum Shop.
Drinnen schimpften die Menschen laut. Eine hohe Frauenstimme überschlug sich: „Ich wollte mir auch noch was wünschen!“ Ein paar lagen auf dem Boden und sangen: „Hare Krishna, Hare, Hare.“ Ein anderer versuchte die Ladenkasse hinter dem Verkaufscounter aufzubrechen. Im Fernseher über der Kühltruhe fuhren viele Buddhisten in sehr kleinen Autos um einen Hügel. Ein Buddhist sah zu und rauchte.
Der Liebe Gott stand in der geöffneten Tür. Diese gemeinsamen Kontrollgänge machten ihn krank. Kaum gedacht verbot er sich diesen Gedanken wieder, entfernte ein bisschen zu unlieb den Kassendieb vom Counter und brüllte mit seiner alles durchdringenden Stimme: „Wer will was?“
Es dauerte gar nicht lange, da hatte sich wieder eine Schlange vor dem Verkaufscounter gebildet. Die anfangs sehr sonderbar klingenden Wünsche nahmen mit der Zeit ab, und alles war wieder in Ordnung, als der Liebe Gott Stunden später von einem hübschen blonden Mädchen abgelöst wurde.
„Wo ist denn Kevin?“, wollte sie wissen.
„Kevin?“
„Dessen Dienst du gemacht hast.“
Der Liebe Gott seufzte tief.
„Dein erster Tag heute?“ Das Mädchen lächelte verständnisvoll. „Mit der Zeit gewöhnt man sich dran.“
Aber der Liebe Gott wusste, dass er sich nicht daran gewöhnen würde. Er beschloss, dass er für diesen Kontrollgang genug getan hatte und die Menschen ihrem Schicksal überlassen würde. Gut, vielleicht würde er morgen einen Engel aussenden, um nach diesem Kevin zu suchen. Für heute reichte es.
Das Mädchen betrachtete ihn mitleidig. „Nee, nee, tut mir ja Leid, aber erst noch die Abrechnung.“
Da lächelte der Liebe Gott sehr angestrengt, nahm die Ladenkasse und begann zu zählen. Und während er noch zählte, saßen Kevin und der Teufel auf einem Gipfel des Tibetanischen Hochgebirges und rauchten eine nach der anderen. Schließlich lag die Marlboroschachtel leer und rotleuchtend vor ihnen im Schnee. Der Teufel nieste.
veröffentlicht in:
erostepost Nr.24
Literaturzeitschrift
Salzburg, 2001