LESEPROBE DES ARTIKELS:
Die Lust an der eigenen Welt -
so schreiben Sie Fantasy
„Der Mensch kann, wenn es ihm gefällt, kleine Welten aus sich selbst heraus erfinden, in denen er seine eigenen Gesetze walten läßt. In dieser Lust, neue Formen hervorzubringen, kommt er der göttlichen Schöpfungsrolle am nächsten.“ (George MacDonald, einer der Väter der Fantasy-Literatur, 19. Jahrhundert)
Diese göttliche Schöpfungsrolle, von der MacDonald schreibt, ist es wohl, die das Genre Fantasy für Autoren so reizvoll, aber auch so schwierig macht. Fantasyautoren müssen nämlich die Welt ihrer Geschichte, oder zumindest den phantastischen Teil von ihr, noch erschaffen. Sie können nicht wie andere Autoren zu ihren Handlungsschauplätzen fahren, sie können sie nicht fotografieren, nicht mit allen Sinnen in sich aufnehmen, denn diese Schauplätze sind oft nicht von unserer Welt. Das bedeutet, dass neben allen anderen Stolpersteinen, die Autoren nur zu gut kennen - Figuren müssen `laufen`, die Handlung logisch und spannend sein, die Dialoge treffsicher, das Ende der Geschichte gut vorbereitet und doch überraschend, und dann noch die Sprache, der Rhythmus, der Klang... neben alldem muss sich der Fantasyautor noch als „erfolgreicher Zweitschöpfer“ (Tolkien) beweisen und dem Göttlichen die beste Konkurrenz machen, zu der er in der Lage ist. Von diesem Anspruch ist kein Fantasyautor frei, auch wenn er `nur ganz trivial` schreiben will. Selbst über Robert E. Howard, der den Barbaren Conan erfand, dem Arnold Schwarzenegger Gestalt und Gesicht gab, über diesen `trivialen` Howard schreibt Wolfgang Hohlbein: „Es ist ihm gelungen, eine ebenso faszinierende wie bunte Welt neu zu erschaffen, in die man ihm nicht nur gerne folgt, sondern aus der man eigentlich auch gar nicht mehr zurück will.“
Wie können Autoren das erreichen?
Wie kann der Aufenthalt in der neu erschaffenen Welt für den Leser so begehrenswert wie möglich gemacht werden?
Zuerst wäre da die Recherche zu nennen, die jeder Schöpfung vorausgeht. Als Hintergrund für die Welt im Genre Fantasy dient oft ein fiktives Mittelalter. Über diese Zeitepoche gibt es viele Bücher, Internetseiten und Filme, die Autoren als Anregung für ihre Welten verwenden können. Aber auch andere Zeiten sind ausreichend dokumentiert, so dass es möglich ist, auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen. Und natürlich gibt es Experten, die oft überraschend wohlwollend Auskunft geben, wenn man sie befragt. Schon während der Recherche sollte das Wissen über die neue Welt schriftlich festgehalten werden, wenn auch nur in Stichworten. Denn jetzt werden Regeln aufgestellt, Regeln, nach denen die Welt funktioniert. Und wenn diese Regeln einmal aufgestellt sind, dürfen sie um keinen Preis mehr gebrochen werden. Tun Autoren das, verlieren sie ihre Leser. Durch so einen Bruch werden die Leser nämlich aus der Fiktion gerissen und beginnen sich über die Welt, in der sie sich eigentlich befinden sollten, Gedanken zu machen.
Um die Regeln einzuhalten, ist es für jeden Autoren ratsam, sie jederzeit vor Augen zu haben. Man muß nachschlagen können: Wie war das nochmal? Welchen Gott betete dieses Volk an? Welcher Fluß führte an welcher Stadt vorbei? Und war meine Art der Magie nun angeboren oder erlernbar? Wie war das nochmal?
Jetzt ist es auch an der Zeit, Landkarten zu zeichnen. Autoren sollten wissen, was im Osten, im Westen, im Norden und im Süden ihrer Welt liegt. Aus welcher Richtung der Wind weht und welches Wetter er mitbringt. Sie müssen ihre Pflanzen kennen, die Tiere, die Unholde und selbstverständlich die menschlichen und nicht menschlichen Bewohner, deren Kultur und Gesellschaften. Die Geschichte der Welt und ihrer Mythen ist genauso wichtig wie die Wirtschaft, die Verwaltung, die Rechtsprechung und die Regierungsform. Religion und Magie spielen in der Fantasy oft eine große Rolle, daher müssen Autoren auch über sie Bescheid wissen.
Das ist sehr viel Arbeit. Aber es lohnt sich. Der Leser bekommt durch diese grundlegende Vorarbeit das Gefühl, dass die neu erschaffene Welt tatsächlich existiert. Und genau das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass er in der Geschichte bleibt und nicht aus ihr herausfällt. Er muss - ohne wenn und aber - an die Welt glauben, in der sich die Geschichte ereignet. „Sobald Unglaube aufkommt, ist der Bann gebrochen; der Zauber, oder vielmehr die Kunst, hat versagt. Dann sind wir wieder in der Primärwelt und betrachten die kleine, mißlungene Sekundärwelt von außen.“ (Tolkien) Natürlich ist jetzt auch Figurenarbeit angesagt - wie in jeder `normalen` Geschichte. Wer in der Fantasy Stereotype verwendet und glaubt, Zwerge, Elfen oder Zauberer aus dem Ärmel schütteln zu können, irrt. Auch Fantasyfiguren müssen ausgearbeitete Charaktere sein. Egal ob die Figuren nun menschlich sind oder nicht, sie brauchen Charakter und können nicht alleine aus ihrer Funktion herausleben. Wenn Elfen ausschließlich flatternde ätherische Wesen sind, alte Männer mit Bart immer nur weise Ratgeber und alle Helden opferbereite Jünglinge, dann wird es schnell langweilig. Anregungen, wie man es besser machen kann, findet man in der Wirklichkeit. Hat jemand schon einmal versucht, sich seine Nachbarin als Zwergin vorzustellen?
Ein letztes Wort zur Figurenarbeit. Wie Lajos Egri es fordert, sollten auch Fantasyautoren ihre Figuren dreidimensional erschaffen. Die Physis, die Psyche und das soziale Umfeld (auch Zwerge und Elfen haben sowas) werden gebraucht, damit die Figuren `laufen`. Jeder Zauberer und jeder Gnom hat eine Biografie, die ihre Autoren kennen müssen, damit die Figuren lebendig werden.
Ist alles bedacht und aufgezeichnet, dann sind Fantasyautoren auf einem guten Weg, dem Stereotyp zu entgehen und sich als Zweitschöpfer zu bewähren. Sollte die Geschichte immer noch in einigen Punkten anderen Fantasygeschichten ähneln, ist das kein Grund zur Panik. Das Besondere hat durch die neu erschaffene Welt und ihre einzigartigen Bewohner seinen Platz in der Geschichte gefunden. In jedem Genre ähneln sich Geschichten nunmal im Kern, und wie der Krimi in den meisten Fällen mit einem Mord arbeitet, liegen die Wurzeln der Fantasy eben in der Mythologie und den Sagen der Völker. Das seien Stoffe, die aus unserem kollektiven Unterbewusstsein kommen, sagt der Psychologe C.G. Jung. Jeder Mensch trage einen solchen Vorrat an Bildern, Geschöpfen und Geschichten in sich. Und diese Bilder, Geschöpfe und Geschichten ähnelten sich auf der ganzen Welt, so unterschiedlich die Kulturen der einzelnen Völker auch seien. So sollen christliche Missionare sehr erstaunt gewesen sein, als sie in Südamerika auf die gleiche Geschichte der Jungfrauengeburt stießen wie die, die sie verkünden wollten.
Wenn es diese Ähnlichkeiten gibt – wo sind sie zu finden und wie kann man sie nutzen?
Es ist die Struktur der Geschichte, die sich in diesem Genre wiederholen kann. Vom Mythenforscher Joseph Campbell inspiriert hat Christopher Vogler sich mit dieser Struktur beschäftigt. Er hat die sogenannte Heldenreise ausgearbeitet und sie Hollywood zugänglich gemacht.
Der vollständige Artikel ist in der TextArt 2/2010 erschienen.
www.textartmagazin.de
Literaturhinweise:
Frederik Hetmann: Die Freuden der Fantasy
Lajos Egri: Dramatisches Schreiben, Literarisches Schreiben
C.G. Jung: Psychologische Typen
Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten
Christopher Vogler: Die Odyssee des Drehbuchschreibers
J.R.R. Tolkien: Über Märchen in: Gute Drachen sind rar
Die Lust an der eigenen Welt -
so schreiben Sie Fantasy
„Der Mensch kann, wenn es ihm gefällt, kleine Welten aus sich selbst heraus erfinden, in denen er seine eigenen Gesetze walten läßt. In dieser Lust, neue Formen hervorzubringen, kommt er der göttlichen Schöpfungsrolle am nächsten.“ (George MacDonald, einer der Väter der Fantasy-Literatur, 19. Jahrhundert)
Diese göttliche Schöpfungsrolle, von der MacDonald schreibt, ist es wohl, die das Genre Fantasy für Autoren so reizvoll, aber auch so schwierig macht. Fantasyautoren müssen nämlich die Welt ihrer Geschichte, oder zumindest den phantastischen Teil von ihr, noch erschaffen. Sie können nicht wie andere Autoren zu ihren Handlungsschauplätzen fahren, sie können sie nicht fotografieren, nicht mit allen Sinnen in sich aufnehmen, denn diese Schauplätze sind oft nicht von unserer Welt. Das bedeutet, dass neben allen anderen Stolpersteinen, die Autoren nur zu gut kennen - Figuren müssen `laufen`, die Handlung logisch und spannend sein, die Dialoge treffsicher, das Ende der Geschichte gut vorbereitet und doch überraschend, und dann noch die Sprache, der Rhythmus, der Klang... neben alldem muss sich der Fantasyautor noch als „erfolgreicher Zweitschöpfer“ (Tolkien) beweisen und dem Göttlichen die beste Konkurrenz machen, zu der er in der Lage ist. Von diesem Anspruch ist kein Fantasyautor frei, auch wenn er `nur ganz trivial` schreiben will. Selbst über Robert E. Howard, der den Barbaren Conan erfand, dem Arnold Schwarzenegger Gestalt und Gesicht gab, über diesen `trivialen` Howard schreibt Wolfgang Hohlbein: „Es ist ihm gelungen, eine ebenso faszinierende wie bunte Welt neu zu erschaffen, in die man ihm nicht nur gerne folgt, sondern aus der man eigentlich auch gar nicht mehr zurück will.“
Wie können Autoren das erreichen?
Wie kann der Aufenthalt in der neu erschaffenen Welt für den Leser so begehrenswert wie möglich gemacht werden?
Zuerst wäre da die Recherche zu nennen, die jeder Schöpfung vorausgeht. Als Hintergrund für die Welt im Genre Fantasy dient oft ein fiktives Mittelalter. Über diese Zeitepoche gibt es viele Bücher, Internetseiten und Filme, die Autoren als Anregung für ihre Welten verwenden können. Aber auch andere Zeiten sind ausreichend dokumentiert, so dass es möglich ist, auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen. Und natürlich gibt es Experten, die oft überraschend wohlwollend Auskunft geben, wenn man sie befragt. Schon während der Recherche sollte das Wissen über die neue Welt schriftlich festgehalten werden, wenn auch nur in Stichworten. Denn jetzt werden Regeln aufgestellt, Regeln, nach denen die Welt funktioniert. Und wenn diese Regeln einmal aufgestellt sind, dürfen sie um keinen Preis mehr gebrochen werden. Tun Autoren das, verlieren sie ihre Leser. Durch so einen Bruch werden die Leser nämlich aus der Fiktion gerissen und beginnen sich über die Welt, in der sie sich eigentlich befinden sollten, Gedanken zu machen.
Um die Regeln einzuhalten, ist es für jeden Autoren ratsam, sie jederzeit vor Augen zu haben. Man muß nachschlagen können: Wie war das nochmal? Welchen Gott betete dieses Volk an? Welcher Fluß führte an welcher Stadt vorbei? Und war meine Art der Magie nun angeboren oder erlernbar? Wie war das nochmal?
Jetzt ist es auch an der Zeit, Landkarten zu zeichnen. Autoren sollten wissen, was im Osten, im Westen, im Norden und im Süden ihrer Welt liegt. Aus welcher Richtung der Wind weht und welches Wetter er mitbringt. Sie müssen ihre Pflanzen kennen, die Tiere, die Unholde und selbstverständlich die menschlichen und nicht menschlichen Bewohner, deren Kultur und Gesellschaften. Die Geschichte der Welt und ihrer Mythen ist genauso wichtig wie die Wirtschaft, die Verwaltung, die Rechtsprechung und die Regierungsform. Religion und Magie spielen in der Fantasy oft eine große Rolle, daher müssen Autoren auch über sie Bescheid wissen.
Das ist sehr viel Arbeit. Aber es lohnt sich. Der Leser bekommt durch diese grundlegende Vorarbeit das Gefühl, dass die neu erschaffene Welt tatsächlich existiert. Und genau das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass er in der Geschichte bleibt und nicht aus ihr herausfällt. Er muss - ohne wenn und aber - an die Welt glauben, in der sich die Geschichte ereignet. „Sobald Unglaube aufkommt, ist der Bann gebrochen; der Zauber, oder vielmehr die Kunst, hat versagt. Dann sind wir wieder in der Primärwelt und betrachten die kleine, mißlungene Sekundärwelt von außen.“ (Tolkien) Natürlich ist jetzt auch Figurenarbeit angesagt - wie in jeder `normalen` Geschichte. Wer in der Fantasy Stereotype verwendet und glaubt, Zwerge, Elfen oder Zauberer aus dem Ärmel schütteln zu können, irrt. Auch Fantasyfiguren müssen ausgearbeitete Charaktere sein. Egal ob die Figuren nun menschlich sind oder nicht, sie brauchen Charakter und können nicht alleine aus ihrer Funktion herausleben. Wenn Elfen ausschließlich flatternde ätherische Wesen sind, alte Männer mit Bart immer nur weise Ratgeber und alle Helden opferbereite Jünglinge, dann wird es schnell langweilig. Anregungen, wie man es besser machen kann, findet man in der Wirklichkeit. Hat jemand schon einmal versucht, sich seine Nachbarin als Zwergin vorzustellen?
Ein letztes Wort zur Figurenarbeit. Wie Lajos Egri es fordert, sollten auch Fantasyautoren ihre Figuren dreidimensional erschaffen. Die Physis, die Psyche und das soziale Umfeld (auch Zwerge und Elfen haben sowas) werden gebraucht, damit die Figuren `laufen`. Jeder Zauberer und jeder Gnom hat eine Biografie, die ihre Autoren kennen müssen, damit die Figuren lebendig werden.
Ist alles bedacht und aufgezeichnet, dann sind Fantasyautoren auf einem guten Weg, dem Stereotyp zu entgehen und sich als Zweitschöpfer zu bewähren. Sollte die Geschichte immer noch in einigen Punkten anderen Fantasygeschichten ähneln, ist das kein Grund zur Panik. Das Besondere hat durch die neu erschaffene Welt und ihre einzigartigen Bewohner seinen Platz in der Geschichte gefunden. In jedem Genre ähneln sich Geschichten nunmal im Kern, und wie der Krimi in den meisten Fällen mit einem Mord arbeitet, liegen die Wurzeln der Fantasy eben in der Mythologie und den Sagen der Völker. Das seien Stoffe, die aus unserem kollektiven Unterbewusstsein kommen, sagt der Psychologe C.G. Jung. Jeder Mensch trage einen solchen Vorrat an Bildern, Geschöpfen und Geschichten in sich. Und diese Bilder, Geschöpfe und Geschichten ähnelten sich auf der ganzen Welt, so unterschiedlich die Kulturen der einzelnen Völker auch seien. So sollen christliche Missionare sehr erstaunt gewesen sein, als sie in Südamerika auf die gleiche Geschichte der Jungfrauengeburt stießen wie die, die sie verkünden wollten.
Wenn es diese Ähnlichkeiten gibt – wo sind sie zu finden und wie kann man sie nutzen?
Es ist die Struktur der Geschichte, die sich in diesem Genre wiederholen kann. Vom Mythenforscher Joseph Campbell inspiriert hat Christopher Vogler sich mit dieser Struktur beschäftigt. Er hat die sogenannte Heldenreise ausgearbeitet und sie Hollywood zugänglich gemacht.
Der vollständige Artikel ist in der TextArt 2/2010 erschienen.
www.textartmagazin.de
Literaturhinweise:
Frederik Hetmann: Die Freuden der Fantasy
Lajos Egri: Dramatisches Schreiben, Literarisches Schreiben
C.G. Jung: Psychologische Typen
Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten
Christopher Vogler: Die Odyssee des Drehbuchschreibers
J.R.R. Tolkien: Über Märchen in: Gute Drachen sind rar