LESEPROBE DES ARTIKELS:
Der Blick auf sich selbst
Erfahrungen in einer autobiografischen Schreibgruppe
Das autobiografische Schreiben boomt. Die Zahl der Biografien und Autobiografien, die auf den Markt kommen, verdoppelt sich stündlich, schreibt Johanna Adorján in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Grass, Schröder, Bohlen, Senta Berger, Kohl, Marianne Rosenberg. Alle schreiben über sich selber. Wir natürlich auch.
Es ist Freitag abend in einer Berliner Volkshochschule. Langsam füllt sich der kahle Raum, der an die eigene Schulzeit erinnert. Noch sind sich diese Menschen fremd, aber sie werden am Wochenende zusammenwachsen. Es geht gar nicht anders, denn autobiografisches Schreiben schafft Nähe. Vielleicht ahnen das die acht Frauen und vier Männer bereits, und vielleicht fürchten sie sich auch ein wenig davor. Acht Frauen, vier Männer, eine gute Zahl für einen Kurs, mit mehr als zwölf Teilnehmern wird es schwieriger. Ich mag sogenannte Kleingruppen, die kosten zwar ein wenig mehr, aber die Teilnehmer haben mehr Platz zum Schreiben und Lesen.
Ja, es wird an diesem Wochenende auch vorgelesen werden. Und wenn alles gut geht und ich das, was ich vermitteln möchte, gut `rüberbringe`, dann werden zu jedem Menschen Fenster aufgehen - und das, was wir zu sehen bekommen, wird uns Zuhörer faszinieren.
Ihre Leser zu faszinieren, das wollen sie lernen. Sie wollen wissen, wie sie ihr Leben so beschreiben können, dass es tatsächlich gelesen wird. Und eben nicht nur von der eigenen Familie, bei denen viel Interesse und noch mehr Wohlwollen für den Biografen mitschwingt.
Jung und alt sitzen hier. Wer glaubte, autobiografisch zu schreiben, sei ein Hobby älterer Damen, der irrt. Die jüngeren wollen herausfinden, wo sie im Leben stehen, die älteren Erfahrungen vermitteln, die sie in ihrem Leben gemacht haben, an die Töchter oder Enkel weitergeben.
Warum ist das eigentlich so?
Warum zieht es immer mehr Menschen an den Schreibtisch? Warum besuchen immer mehr Kurse, die sie anregen, biografisch zu schreiben? Ich habe eine Antwort: Weil eine eigene Autobiografie ein gutes Lebensgefühl hervorruft. Der Schreiber entdeckt sich selber, andere entdecken ihn, er akzeptiert sich und lässt sich gleichzeitig von anderen in Augenschein nehmen. Und wenn alles gut läuft, dann fühlt er sich durchs Schreiben in dieser Welt sicherer, er kommt an, findet seinen Platz.
Wie kann so etwas geschehen?
Im Kurs sind die ersten Schreibübungen gemacht, das sogenannte `warming up` absolviert. Jetzt sind die Menschen bereit, und ich fordere sie auf, über ihre Fehler zu schreiben.
Über ihre Fehler?
Es ist die mutigste Übung, die ich in meinen Kursen zum autobiografischen Schreiben gebe. An ihr entscheidet sich, wie intensiv die Arbeit wird, wie gut die Texte. Hier gibt es immer Einwände von den Teilnehmern, ich spüre ihren Widerstand. Der Seminarraum verwandelt sich in ein Meer, in dem die Skepsis hin und herschwappt.
Was will die von mir?
Ja, was will ich von ihnen?
Die Menschen, die die Schwelle zu meinen Kursen übertreten, sollen begreifen, dass nichts einer Biografie mehr Gehalt gibt als sie selber. Ihre Eigenheiten sind der Stoff, der den Leser bindet, den `Schlauch` herstellt zwischen ihnen und den Herzen der Leser.
„Plopp“, sage ich, „der Verbindungsschlauch muss anploppen, und dafür müssen Autoren ihr Herz öffnen. Das ist das Geschenk, das sie ihren Lesern schulden.“
Es wird still im Raum. Die ersten denken nach, überwinden innere Widerstände. Schreiben diese ersten, dann schreiben auch bald die letzten. Die Stifte kratzen.
Ich frage, wer liest. Wieder Stille. Und dann gibt es immer besonders mutige Menschen, denen ich an dieser Stelle von Herzen danken möchte.
Eine junge Frau hat übers Fingernägelknabbern geschrieben. Natürlich betrachten wir ihre Nägel, als sie vorliest. Wie erwartet sind sie abgeknabbert. Die Frau beschreibt, wann sie damit anfing und warum, und dann geschieht das Wunder. Wir verstehen. Sympathie durchflutet den Raum, löst Skepsis und Hindernisse auf. Die junge Frau lächelt. Sie hat sich gezeigt und ist angenommen worden. Vielleicht hält ihr Mut, zu sich selber zu stehen, nur für diesen winzigen Moment, aber der ist köstlich.
Jetzt wollen alle lesen. Sie alle wollen dieses wunderbare Gefühl haben, angenommen zu sein, den eigenen Platz im Leben in Besitz zu nehmen. Ja, autobiografisches Schreiben verschafft Sicherheit. Wirkliche Sicherheit, da Angriffsflächen verschwinden, wenn man sich selber akzeptiert.
Und da fragt noch einer, warum das autobiografische Schreiben boomt?
Nun arbeite ich aber dramaturgisch und nicht therapeutisch. Das heißt: In meinen Kursen ist das positive Selbstgefühl ein wunderbarer Zugewinn, aber nicht Zweck der Übung. Im Vordergrund steht nicht, dass die Texte die Autoren, sondern die Leser glücklich machen.
Ja, ist denn das nicht dasselbe?
Nein, das ist nicht dasselbe.
Es kann auch ganz schön unangenehm sein, wenn man über seine Fehler schreibt, seine Versäumnisse begutachtet, seine Makel ins Licht rückt. Wenn sich gleich darauf – wie bei mir im Kurs – die Sicherheit einstellt, ist das wunderbar. Aber gehen Wunden tiefer, ist das so rasch nur selten der Fall.
Und trotzdem sage ich: Auf den ganzen Menschen kommt es an. Den will der Leser. Was lieben wir an literarischen Figuren am meisten? An Scarlett ihre Starrköpfigkeit, an Kapitän Ahab seine Unerbittlichkeit bis in den Tod, an Donald Duck seine Tolpatschigkeit. Sind das Eigenschaften, derer sich die Figur rühmt oder die sie eher zu verstecken trachtet? Natürlich versteckt sie sie, denn dahinter steckt immer ein innerer Konflikt. Und genau der macht auch die Biografie zum Leseerlebnis. Machen Sie doch mal den Versuch: Betrachten Sie sich selber als literarische Figur und betreiben Sie ein wenig Figurenentwicklung. Schwupps, Sie sind bei einem Ihrer Lebensthemen gelandet. Und woran erkennt man Lebensthemen?
Dass es da besonders wehtut.
Dass von dort die allerbesten Texte kommen.
Der vollständige Artikel ist in der TextArt 1/2007 erschienen.
www.textartmagazin.de
Und in der Sonderausgabe TextArt Themenheft 4 "Autobiografisches Schreiben"
Literaturempfehlungen zum autobiografischen Schreiben:
Günther Waldmann
Autobiografisches als literarisches Schreiben
Schneider Verlag Hohengehren GmbH, Baltmannsweiler, 2000
Stefan Schwidder
Ich schreibe, also bin ich
Schritt für Schritt zur eigenen Biographie
Zentrum für Biographisches Schreiben, Hamburg, 2004
Der Blick auf sich selbst
Erfahrungen in einer autobiografischen Schreibgruppe
Das autobiografische Schreiben boomt. Die Zahl der Biografien und Autobiografien, die auf den Markt kommen, verdoppelt sich stündlich, schreibt Johanna Adorján in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Grass, Schröder, Bohlen, Senta Berger, Kohl, Marianne Rosenberg. Alle schreiben über sich selber. Wir natürlich auch.
Es ist Freitag abend in einer Berliner Volkshochschule. Langsam füllt sich der kahle Raum, der an die eigene Schulzeit erinnert. Noch sind sich diese Menschen fremd, aber sie werden am Wochenende zusammenwachsen. Es geht gar nicht anders, denn autobiografisches Schreiben schafft Nähe. Vielleicht ahnen das die acht Frauen und vier Männer bereits, und vielleicht fürchten sie sich auch ein wenig davor. Acht Frauen, vier Männer, eine gute Zahl für einen Kurs, mit mehr als zwölf Teilnehmern wird es schwieriger. Ich mag sogenannte Kleingruppen, die kosten zwar ein wenig mehr, aber die Teilnehmer haben mehr Platz zum Schreiben und Lesen.
Ja, es wird an diesem Wochenende auch vorgelesen werden. Und wenn alles gut geht und ich das, was ich vermitteln möchte, gut `rüberbringe`, dann werden zu jedem Menschen Fenster aufgehen - und das, was wir zu sehen bekommen, wird uns Zuhörer faszinieren.
Ihre Leser zu faszinieren, das wollen sie lernen. Sie wollen wissen, wie sie ihr Leben so beschreiben können, dass es tatsächlich gelesen wird. Und eben nicht nur von der eigenen Familie, bei denen viel Interesse und noch mehr Wohlwollen für den Biografen mitschwingt.
Jung und alt sitzen hier. Wer glaubte, autobiografisch zu schreiben, sei ein Hobby älterer Damen, der irrt. Die jüngeren wollen herausfinden, wo sie im Leben stehen, die älteren Erfahrungen vermitteln, die sie in ihrem Leben gemacht haben, an die Töchter oder Enkel weitergeben.
Warum ist das eigentlich so?
Warum zieht es immer mehr Menschen an den Schreibtisch? Warum besuchen immer mehr Kurse, die sie anregen, biografisch zu schreiben? Ich habe eine Antwort: Weil eine eigene Autobiografie ein gutes Lebensgefühl hervorruft. Der Schreiber entdeckt sich selber, andere entdecken ihn, er akzeptiert sich und lässt sich gleichzeitig von anderen in Augenschein nehmen. Und wenn alles gut läuft, dann fühlt er sich durchs Schreiben in dieser Welt sicherer, er kommt an, findet seinen Platz.
Wie kann so etwas geschehen?
Im Kurs sind die ersten Schreibübungen gemacht, das sogenannte `warming up` absolviert. Jetzt sind die Menschen bereit, und ich fordere sie auf, über ihre Fehler zu schreiben.
Über ihre Fehler?
Es ist die mutigste Übung, die ich in meinen Kursen zum autobiografischen Schreiben gebe. An ihr entscheidet sich, wie intensiv die Arbeit wird, wie gut die Texte. Hier gibt es immer Einwände von den Teilnehmern, ich spüre ihren Widerstand. Der Seminarraum verwandelt sich in ein Meer, in dem die Skepsis hin und herschwappt.
Was will die von mir?
Ja, was will ich von ihnen?
Die Menschen, die die Schwelle zu meinen Kursen übertreten, sollen begreifen, dass nichts einer Biografie mehr Gehalt gibt als sie selber. Ihre Eigenheiten sind der Stoff, der den Leser bindet, den `Schlauch` herstellt zwischen ihnen und den Herzen der Leser.
„Plopp“, sage ich, „der Verbindungsschlauch muss anploppen, und dafür müssen Autoren ihr Herz öffnen. Das ist das Geschenk, das sie ihren Lesern schulden.“
Es wird still im Raum. Die ersten denken nach, überwinden innere Widerstände. Schreiben diese ersten, dann schreiben auch bald die letzten. Die Stifte kratzen.
Ich frage, wer liest. Wieder Stille. Und dann gibt es immer besonders mutige Menschen, denen ich an dieser Stelle von Herzen danken möchte.
Eine junge Frau hat übers Fingernägelknabbern geschrieben. Natürlich betrachten wir ihre Nägel, als sie vorliest. Wie erwartet sind sie abgeknabbert. Die Frau beschreibt, wann sie damit anfing und warum, und dann geschieht das Wunder. Wir verstehen. Sympathie durchflutet den Raum, löst Skepsis und Hindernisse auf. Die junge Frau lächelt. Sie hat sich gezeigt und ist angenommen worden. Vielleicht hält ihr Mut, zu sich selber zu stehen, nur für diesen winzigen Moment, aber der ist köstlich.
Jetzt wollen alle lesen. Sie alle wollen dieses wunderbare Gefühl haben, angenommen zu sein, den eigenen Platz im Leben in Besitz zu nehmen. Ja, autobiografisches Schreiben verschafft Sicherheit. Wirkliche Sicherheit, da Angriffsflächen verschwinden, wenn man sich selber akzeptiert.
Und da fragt noch einer, warum das autobiografische Schreiben boomt?
Nun arbeite ich aber dramaturgisch und nicht therapeutisch. Das heißt: In meinen Kursen ist das positive Selbstgefühl ein wunderbarer Zugewinn, aber nicht Zweck der Übung. Im Vordergrund steht nicht, dass die Texte die Autoren, sondern die Leser glücklich machen.
Ja, ist denn das nicht dasselbe?
Nein, das ist nicht dasselbe.
Es kann auch ganz schön unangenehm sein, wenn man über seine Fehler schreibt, seine Versäumnisse begutachtet, seine Makel ins Licht rückt. Wenn sich gleich darauf – wie bei mir im Kurs – die Sicherheit einstellt, ist das wunderbar. Aber gehen Wunden tiefer, ist das so rasch nur selten der Fall.
Und trotzdem sage ich: Auf den ganzen Menschen kommt es an. Den will der Leser. Was lieben wir an literarischen Figuren am meisten? An Scarlett ihre Starrköpfigkeit, an Kapitän Ahab seine Unerbittlichkeit bis in den Tod, an Donald Duck seine Tolpatschigkeit. Sind das Eigenschaften, derer sich die Figur rühmt oder die sie eher zu verstecken trachtet? Natürlich versteckt sie sie, denn dahinter steckt immer ein innerer Konflikt. Und genau der macht auch die Biografie zum Leseerlebnis. Machen Sie doch mal den Versuch: Betrachten Sie sich selber als literarische Figur und betreiben Sie ein wenig Figurenentwicklung. Schwupps, Sie sind bei einem Ihrer Lebensthemen gelandet. Und woran erkennt man Lebensthemen?
Dass es da besonders wehtut.
Dass von dort die allerbesten Texte kommen.
Der vollständige Artikel ist in der TextArt 1/2007 erschienen.
www.textartmagazin.de
Und in der Sonderausgabe TextArt Themenheft 4 "Autobiografisches Schreiben"
Literaturempfehlungen zum autobiografischen Schreiben:
Günther Waldmann
Autobiografisches als literarisches Schreiben
Schneider Verlag Hohengehren GmbH, Baltmannsweiler, 2000
Stefan Schwidder
Ich schreibe, also bin ich
Schritt für Schritt zur eigenen Biographie
Zentrum für Biographisches Schreiben, Hamburg, 2004